Wie wir denken zu denken

Als Einstieg eine kleine Denkaufgabe: Bitte nicht lange überlegen, sondern spontan antworten.
Ball und Schläger kosten zusammen 1,10€. Der Schläger kostet 1€ mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?
Hast du auch intuitiv gedacht, dass die Antwort 10 Cent ist?
Das ist falsch, aber keine Sorge. Diesen Fehler machen wirklich fast alle. Es stammt aus dem Klassiker (wobei gerade erst knapp 10 Jahre alt) Schnelles Denken, langsames Denken von Daniel Kahneman. Eine absolute Leseempfehlung. (Link führt zu Amazon)
Warum machen wir aber solche Denkfehler? Und wie könnten wir sie vermeiden? Das möchte ich in diesem Beitrag erzählen.
Wir glauben wir zu denken
Wir denken rational, wie denn auch sonst. Unser Denken ist stets vernunftgeleitet, zielgerichtet und zweckorientiert. Wenn eine Entscheidung ansteht, dann ermitteln wir alle Alternativen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten. Wir entscheiden uns für die Alternative mit dem höchsten Erwartungswert.
Machen wir das nicht alle ständig in unserem Alltag? Spaß beiseite, natürlich denken und entscheiden wir nicht so. Zumindest nicht bei den meisten Entscheidungen.
Was die Theorie der rationalen Entscheidung vernachlässigt ist der Einfluss von Emotionen. Aber ohne Emotionen gibt es keine Entscheidung (Mehr dazu in diesem Artikel Emotionen und Entscheidungen).
Es gibt aber noch eine andere Limitierung für rationales Denken. Die Verarbeitungskapazität unseres Gehirns ist begrenzt. Wir können gar nicht vollständig rational denken. Wir sprechen dann von begrenzter Rationalität (bounded rationality). Diese Erkenntnis hatte der amerikanische Psychologe Herbert A. Simon und bekam unter anderem dafür 1978 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen.
Rationales Verhalten des Menschen wird durch eine Schere geformt, deren Klingen die Umwelten und die kognitiven Fähigkeiten des Handelnden sind.
Herbert A. Simon
Wie gehen wir nun mit dieser begrenzten Rationalität um? Die Natur hat uns glücklicherweise sehr effiziente Hilfsmittel zur Verarbeitung komplexer Informationen mit auf den Weg gegeben. Ohne diese Hilfsmittel wären wir ziemlich hilflos unterwegs in unserer Welt. Wir nutzen sogenannte Heuristiken.
Wir denken wir wirklich
Heuristiken sind gedankliche Abkürzungen, die Informationen weglassen und einfache Faustregeln anwenden, um Probleme zu lösen. Und glücklicherweise funktionieren diese meistens auch sehr gut und effizient. Aber nicht immer, und das macht es kompliziert.
Das Wort leitet sich aus dem griechischen Wort „heuriskein“ ab, was so viel wie (auf)finden, entdecken bedeutet.
Es gibt einige fundamentale Heuristiken. Dazu werden in der Wissenschaft neue Anwärter diskutiert. Eine vollständige Darstellung würde den Rahmen sprengen. Daher möchte ich drei ausgewählte Heuristiken näher darstellen.
Die Verfügbarkeitsheuristik (availability heuristic)
Stell dir vor, du träumst von einem bestimmten Auto. Du weisst genau, welche Farbe es hat. Auf einmal siehst du genau dieses Auto ständig in der Stadt an dir vorbeifahren. Nach einem Flugzeugabsturz berichten Medien in aller Ausführlichkeit darüber. Die schrecklichen Bilder sind quasi unvermeidbar. Auf einmal hast du Angst, in ein Flugzeug zu steigen. Weitere Beispiele sind Haiattacken, die medial verarbeitet werden. Plötzlich beschleicht uns ein Angstgefühl beim Baden im offenen Meer. Glücklicherweise verblasst dieser Effekt mit der Zeit.
Die Ankerheuristik (anchor heuristic)
Der eine oder andere kennt es von Preisverhandlungen. Wer als erster einen Preis sagt, ist oft im Vorteil. Die Korrekturen werden ausgehend von dieser ersten Zahl gemacht. Ein noch drastischeres Beispiel kommt von Daniel Kahneman und Amos Tversky.
Sie manipulierten ein Glücksrad, so dass es entweder die Zahl 10 oder die Zahl 65 anzeigte. Vor einer Gruppe von Studenten drehten sie das Glücksrad für jeden einzelnen Teilnehmer und baten ihn, die angezeigte Zahl niederzuschreiben. Danach stellten sie folgende Fragen:
- Ist der prozentuale Anteil afrikanischer Länder an der in den Vereinten Nationen größer oder kleiner als die Zahl, die du gerade aufgeschrieben hast?
- Wie hoch schätzt du den Anteil afrikanischer Länder in den Vereinten Nationen?
Das Ergebnis ist erstaunlich. Diejenigen, die die Zahl 10 aufgeschrieben haben antworten im Durchschnitt mit 25% auf Frage 2. Diejenigen, die 65 hatten, schätzten im Durchschnitt den Anteil afrikanischer Nationen auf 45%. Das Glücksrad kann doch aber keine Rolle bei der Beantwortung der Fragen sein. Und trotzdem setzte es unbewusst in den Studenten einen Anker, der sich auf das Ergebnis auswirkte.
Ankereffekte begegnen uns Schritt auf Tritt in unserem täglichen Leben. Achte einfach mal darauf.
Die Affektheuristik (affect heuristic)
Wir glauben an das, was wir mögen und gut oder schlecht finden. Zum Beispiel treffen wir spontane Entscheidungen bei Aktienkäufen ohne eine fundamentale Analyse. Werbetreibende nutzen diesen Effekt aus, indem sie gezielt versuchen, Emotionen zu erzeugen. Freude und Lust oder noch besser Angst. Angst ist der stärkste Verkaufstrigger. Schau dir mal Anzeigen für Versicherungen oder Alarmanlagen an.
Heuristiken helfen aber auch, komplexe Probleme zu lösen. Ein Beispiel ist die sogenannte Blickheuristik, mit deren Hilfe wir Bälle fangen können. Sie ersetzt komplexe Probleme (Lösung der Differentialgleichung für ein fliegendes Objekt) mit einfachen Regeln (visiere den Ball und halte den Blickwinkel konstant). Wesentliche Informationen werden ausgeblendet. In diesem Fall sprechen wir von Heuristiken als Mittel zum schnellen und sparsamen Denken (fast and frugal). Ein bekannter Vertreter dieser Theorie von Heuristiken ist der deutsche Psychologe Gerd Gigerenzer. Sein Buch Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition kann ich ebenfalls wärmstens empfehlen.
Wie beschrieben helfen uns Heuristiken, aber leider können wir uns nicht immer auf sie verlassen. Das wäre ja auch zu einfach, oder?
Können wir uns darauf verlassen
Heuristiken können fehlerbehaftet sein. Man spricht dann von Denkfehlern, die diesen Heuristiken entspringen. Typische Denkfehler (Biases) sind:
- Der Besitztumseffekt (endowment effect): Ein Gut ist uns mehr wert wenn wir es besitzen als wir dafür bezahlen würden, wenn wir es noch nicht besitzen. Konzertkarten sind uns mehr wert nach dem Kauf als wir vor dem Kauf bereit wären zu zahlen. Alter Wein, seltene Autos, Schallplatten…
- Der Bestätigungsfehler (confirmation bias): Wir suchen lieber nach einer Bestätigung für die eigene Meinung anstatt uns mit Widerspruch auseinanderzusetzen. Ist ja auch komfortabler, oder?
- Der Heiligenscheineffekt (halo effect): Wie ein Heiligenschein strahlt ein bestimmtes Merkmal auf andere Eigenschaften aus. Kompetenz in einem Gebiet lässt uns vermuten, dass diese auch auf einem anderen Gebiet vorhanden ist. Einem attraktiven Menschen unterstellen wir mehr Intelligenz und so weiter.
Erkennt ihr den einen oder anderen Denkfehler wieder? Keine Sorge, es gibt noch viel mehr davon…
Resümee
Wir glauben rational zu denken, tun es aber nicht – weil wir es nicht können. Wir denken vielmehr beschränkt rational und verlassen uns auf gedankliche Abkürzungen. Diese kommen mehr oder weniger unbewusst. Sie sind von unserem Erfahrungsschatz abhängig.
Oft funktionieren sie sehr effizient, aber eben nicht immer. Zum Glück haben wir aber diese Abkürzungen, denn sonst wären wir wahrscheinlich heillos überfordert mit unserem Leben.
Ich lade Dich ein, bei den nächsten Gelegenheiten mal bewusster darauf zu achten, wie du urteilst und entscheidest. Teile mir doch Deine Erfahrungen mit, ich freue mich über jedes Feedback.
Herzliche Grüße euer

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